NEUE CD DER ERZGEBIRGSGRUPPE „WIND, SAND & STERNE“

Es scheint, als würde Schunkeln Hornhaut auf der Seele bilden

Ja, ja er lebt noch. Hundert Jahre schlummerte er in Oberpfälzer Volksmusikarchiven. Kam ab und zu in vogtländischen Wirtshausrunden als „Hausmichl“ ans gesellige Tageslicht. Nun ist er berühmt. Und Ruhm hat seinen Preis.

Als erstes musste er seinen Namen ändern. Sein Künstlername ist jetzt „Holzmichel“. Er trägt ein modernes, elektronischsynthetisches Allerweltsgewand. Damit klingt er so, wie eben alles klingt in den Kreisen, in denen er jetzt verkehrt.

Und bei der GEMA ist er neuerdings auch. Das bedeutet, dass jemand für ihn zahlt und jemand an ihm verdient. Früher hat er überall umsonst mitgemacht. Aber dafür hat er ja nun eine Choreografie aus euphorischem Gefuchtel verpasst bekommen. Damit imponiert er Menschen in der ganzen Bundesrepublik.

Weil er nun gar so geliebt wird, muss er in allen Bierzelten zwischen Flensburg und Berchtesgaden repräsentieren. Das strengt an. Macht müde. Verbraucht. Macht überdrüssig, überflüssig. Aber das musste er in Kauf nehmen. Nur so konnte er für Millionen Menschen zum Inbegriff erzgebirgischer Volksmusik werden.

Erzgebirgische Volksmusik? Parallel zur Ekstase um den armen Holzmichel erschien dieser Tage noch eine CD mit erzgebirgischer Musik. Sie trägt den schlichten, schönen Namen „Alte Wurzeln - neie Triebe“ und ist von der Gruppe „Wind, Sand & Sterne“ produziert. Auf dieser CD passiert eigentlich dasselbe wie beim „Holzmichel“. Man bedient sich überlieferter Texte und Melodien und macht Neues dazu. Unterschiede gibt es trotzdem.

Herzenssache

Gewaltige Unterschiede. Beispiel Dialekt: Während man in der volkstümlichen Schlagermusik gerne dezente Dialektfärbungen benutzt um beim Zuhörer auf unverbindliche Art das Gefühl einer Bodenständigkeit zu erzeugen, geht es hier wirklich um Dialekt. Wirklich um die Sprache einer Region.

„Salling - Mir habn e HitraBraatel - Sperrguschen-Lied“ heißen Lieder auf der neuen „Wind, Sand & Sterne“-CD. Und schon die Titel lasen erkenn, wie ernst man es meint mit der Region wie echt und wie tief da Verwurzelungen sind und für wen diese Lieder gedacht sind. Wer so breit Dialekt singt, bindet sich eng an bestimmte Menschen in einer bestimmten Landschaft. Auch, oder gerade im Hinblick auf die zu erwartenden Verkaufszahlen des Tonträgers. Echter Dialekt lässt sich nicht bundesweit verkaufen. Dialekt sprechen oder singen ist Herzenssache, ist Lebensgefühl. „Wind, Sand & Sterne“ tragen ihren Dialekt mit Stolz. Detailliert werden auf der CD für Außenstehende unverständliche Worte übersetzt und erzgebirgische Dialektformen erklärt. Das ist ihnen wichtig.

Die CD „Alte Wurzeln - neie Triebe“ zeigt zwei Gesichter. Das der Rocksongs und das der traditionellen Erzgebirgsmusik. Und beide Gesichter sind Charakterköpfe. Sind alles andere als austauschbar. Sind vielmehr sperrig und kantig, direkt und manchmal grob. Eben so gar nicht leicht verdaulich.

Ihre Rocksongs sind vom alten Schlag. Nicht der heute übliche Synthi-Sound. Bei „Wind, Sand & Sterne“ spielen noch Gitarre und Bass, Schlagzeug und Hammondorgel. Dieser Sound ist im Moment nicht wirklich modern. Er wird aber auch niemals wirklich alt.

Die traditionellen Erzgebirgslieder auf der CD zeigen uns das Charisma, das überlieferte Musik haben kann, wenn Sie nicht durch die Mühlen der Fernsehtauglichkeit gedreht wird. Wenn sie nicht auf dem Altar der Sendefähigkeit und der Verkaufszahlen beschnitten wird. „In dr Ritterschgrü“, „Buchholzer Lied“ oder erzgebirgische Hirtengesänge - immer wenn Konzertina, Mandola und Fuchsgeige spröde klangliche Allianzen eingehen, immer wenn die Männer um Stefan Gerlach die rauen Stimmen heben, lassen sie uns an das Erzgebirge als Musikantenland wieder glauben.

Der Holzmichel macht's möglich: Musik aus dem Erzgebirge ist derzeit in aller

Munde. Eine günstige Gelegenheit, auf ein Stück Gegenkultur aus dem Erzgebirge hinzuweisen.

„Wind, Sand & Sterne“ hat das Glück, über erhebliche schöpferische Potenziale zu verfügen. Gleich drei Liedautoren haben die vier Musikanten in ihren Reihen: Christoph Rottloff, Thorsten Reuter und Stefan Gerlach. Drei kreative Köpfe, die bei aller Gemeinsamkeit in ihrem musikalischen Verständnis unterschiedlichste Ausdrucksweisen pflegen.

Spaß und Ernst

Nehmen wir Christoff Rottloff. Der Mann ist originaler als die gesamte volkstümliche Hitparadenmannschaft zusammen. Wenn der den Mund aufmacht und in seinem schnarrenden Tonfall zu singen beginnt, schmeißt du dich weg. Das wär' mal was für Moik und Nebel.

Aber der Kerl beißt Spaß hat bei Ihm immer auch mit Ernst zu tun. Mit Spott. Mit Kritik.

Wenn Christoph Rottloff etwa in seinem „Wos is hier lus?“ von dem Typen singt, der in der Schule nicht bis Drei zählen konnte und heute mit Anzug und Krawatte als Finanzberater tätig ist, dann ist das witzig. Es ist aber auch ein Stück weit Kritik an Zeiten, in denen es vielen Menschen nicht mehr möglich ist, von ihrer Hände Arbeit zu leben. In denen es aber möglich ist, mit irgendwelchen suspekten finanztechnischen Jonglierkünsten und ohne dass dabei etwas produziert wird, viel Geld zu verdienen.

Oder nehmen wir Thorsten Reuter. Der versteht überhaupt keinen Spaß. In seinen Liedern zumindest. Er ist der Meister der morbiden Metaphern. Ein kluger Kopf, ein Philosoph. Und zwar einer, der an der Welt leidet. Texte, wie die zu „Karla“ oder „Schwerenöter“ schreibt man vermutlich in sehr einsamen und sehr langen Nächten.

Dazu tritt als dritter Text- und Liedautor Stefan Gerlach. Stefan hängt am Erzgebirge. Mit allen Fasern seines Herzens und seiner Existenz. Das prägt seine Lieder. Er widmet sich fürsorglich den Erzgebirgsdialekten. Beschäftigt sich mit Ûberliefertem und Historischem. Schöpft daraus Neues. Formt daraus Musikalisches.

Etwa die Ballade vom Stülpner Karl - dem „Robin Hood“ des Erzgebirges. Eine biografische Geschichte von verbotener Lust und Liebe. Eine Geschichte ohne Happy-End. Furchtbar wahr, furchtbar traurig. Und furchtbar schön.

Für solchen Stoff ist aber kein Platz in den großen Volksmusikprogrammen der Gute-Laune-Fraktion. Fast scheint es, als würde Schunkeln Hornhaut auf der Seele bilden. Würde unempfindlich, unempfänglich machen für Echtes und Wahres. Also musste Stülpner sterben. Und der Holzmichel lebt.

Wertegefühl

Mit Konsequenzen: Die allermeisten jugendlichen wenden sich bekanntermaßen von der organisierten ewigen Fröhlichkeit der volkstümlichen Musik ab. Mit Grauen und mit Recht. Schmeißen als fatale Folge aber, wenn sie das Wort „Volksmusik“ hören, originäre überlieferte Musik gleich mit in diesen Topf. Kündigen ihrer Kultur. Und kappen ihre Wurzeln.

Wohl auch, weil sie durch den medialen Dauerbeschuss die Fähigkeit zur Unterscheidung verloren haben. Insofern richtet die volkstümliche Szene wirklich Schaden an der gewachsenen Kultur unseres Landes an.

Genau deshalb sind Gruppen wie „Wind, Sand & Sterne“ und CDs wie „Alte Wurzeln - neie Triebe“ so wichtig. Weil bei Musikern wie „Wind, Sand & Sterne“ das Gegenteil passiert. Zu ihnen kommt die Jugend. Und bei ihnen können junge Menschen ein Wertegefühl für ihre Sprache, Heimat und Kultur entdecken. Können entdecken: Erzgebirgische Volksmusik - ja, die lebt noch.

ERWIN LIPSKY